Wir befinden uns mitten in der Digitalen Revolution, die genau wie die Industrielle Revolution zu enormen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt führt. Wie der Bedarf an Arbeitskräften in 10 bis 20 Jahren aussehen wird, können wir aktuell nur vermuten. Alte Berufe und selbst Neuere, wie Datenanalyst, wird es nicht mehr geben, da sie zum Beispiel von künstlicher Intelligenz übernommen werden.
Wie gelingt es uns nun unsere Kinder bestmöglich auf diese Zukunft vorzubereiten. Was brauchen sie, damit sie in einer Welt bestehen können, die sich schneller wandelt als jemals zuvor?
Statt Wissenserwerb steht nunmehr der Erwerb von Kompetenzen im Zentrum der Bildungspläne. Viele Länder in Europa und weltweit sind dem Deutschsprachigen Raum in dieser Hinsicht weit voraus. Allen voran Finnland und Neuseeland.
Kompetenzen kann man in klassischen Lernsettings nicht gut vermitteln, der Frontalunterricht eignet sich dafür denkbar schlecht, da dieser doch auf den Star des alten Bildungszirkus – die Lehrperson – ausgerichtet war. Dieser Fokus hat sich drastisch verändert. Inzwischen geht es um die Lernenden und ihre individuellen Bedürfnisse. (Wildt und Wildt 2011) Die Aufgabe der Lehrperson hat sich verändert, es gilt die Schülerinnen und Schüler nun zu begleiten und anzuleiten, aber nicht mehr im klassischen Sinne zu unterrichten.
Diesen Weg hat die OBS bisher bereits erfolgreich beschritten und sich den neuen Anforderungen angepasst. Die Schüler stehen im Zentrum des Lernprozesses und erhalten Hilfe und Unterstützung, um ihren eigenen, individuellen Lernweg beschreiten zu können. Von vielen Eltern wenig bemerkt hat bereits ein dramatischer Wandel in der Schule stattgefunden, den wir mit unseren eigenen Erfahrungen von Schule weder vergleichen noch bewerten können, da die Umstände und Anforderungen einfach ganz andere sind.
Um diese Wandlung nun aber konsequent zu Ende zu gehen, fehlt noch ein Bauteil im Dreieck, aus dem Bildung besteht. John Biggs hat in seinem Modell vom Constructive Alignment die Abstimmung dieser drei Bereiche aufeinander gefordert. Für ihn sollten Lernziele (vorgegeben durch die Bildungspläne), das Lehr- und Lernsetting und die Prüfungsformen eine Einheit bilden. (Biggs 1996) Zwei der Bereiche haben wir reformiert, halten aber am letzten Bereich fest, aus Angst bekannte und vertraute Muster abzustreifen.
Doch unsere Prüfungsformen sind aktuell anachronistisch. Sie sind immer noch wie zu unserer Schulzeit: am Ende einer Lerneinheit findet ein Abschlusstest statt und die erhaltene Note sagt aus, was die Schülerinnen und Schüler wissen oder eben nicht, bzw. zeigt er auf, was sie falsch gemacht haben. Die Bildungsforschung über die letzten 20 Jahren ist sich einig, dass ein Paradigmenwechsel auch im Bereich der Leistungsüberprüfung durchgeführt werden muss, hier hinken wir aber enorm hinterher. Die alten Prüfungsformen werden den neuen Lernzielen und den Unterrichtsformen aber nicht mehr gerecht. Es geht ja nicht darum was man weiss, sondern was man kann und wie man sein Wissen anwenden kann, Verbindungen herstellen, kritisch hinterfragen, sich eine eigene Meinung bilden etc. Das alles kann in einem Multiple Choice Test nicht getestet werden. (Witt und Czerwionka 2013)
Dafür brauchen wir andere Formen. Formen die positive Rückmeldung geben, nicht auf den Fehlern herumhacken. Während meiner Schulzeit hatte ich Russisch als Fremdsprache und obwohl ich eine sehr gute Schülerin war, habe ich mich kaum getraut zu sprechen, da jeder Grammatikfehler sofort als solcher entlarvt wurde. Die Lust mich auf Russisch zu unterhalten ist mir dabei vergangen und auch heute, viele Jahre danach, habe ich noch immer Hemmungen Russisch zu sprechen.
Wir wollen unsere Kinder ermutigen Fehler zu machen, und dann mit Abstand zu betrachten, zu evaluieren und daraus zu lernen. Wir wollen den Kindern zeigen, wo sie stehen und was sie machen können, um den nächsten Schritt zu gehen, eine neue Stufe zu erreichen. Dafür braucht es transparent kommunizierte Lernziele und offene Prüfungsformen, die diesen Prozess begleiten um ihn als solchen verständlich zu machen.
Ein Kind, dass seinen Fortschritt sehen kann, da es sich im Kompetenzraster eine Stufe nach oben bewegt hat, wird motiviert eine weitere Stufe zu erklimmen. Wird an dieses Kind aber der Notenschlüssel angelegt, der in der Regel eine soziale Bezugsnorm hat, also innerhalb eines Klassenverbandes den Leistungsstand widerspiegelt, ist es vielleicht immer noch ungenügend. Die Note demotiviert, während das Erklimmen einer weiteren Lernstufe motiviert.
Hätte mein Russischlehrer von damals uns motiviert zu sprechen, die Fehler entweder ignoriert, oder durch richtige Wiederholung aufgegriffen, wäre unser Selbstvertrauen in den Umgang mit der Sprache ein ganz anderes gewesen. Und mal ehrlich, worum geht es im Fremdsprachenunterricht vornehmlich? Grammatikalisch jederzeit korrekt? Konjugieren und deklinieren? Nein, es geht um die Kompetenz mit den Menschen dieser Sprache in Dialog zu treten. Die Botschaft vermitteln zu können und nicht an den Grammatikregeln im Kopf bereits zu scheitern. Ja, ich kann heute noch die Personalpronomen korrekt deklinieren, aber was bringt mir das? Treffe ich auf einen Muttersprachler, versage ich an meiner eigenen Angst, einfach drauflos zu quatschen.
Diese Angst soll die kommenden Generationen nicht begleiten, sie dürfen ausprobieren, Fehler machen, daraus lernen und mit Neugier der Welt begegnen, die sich immer schneller wandelt. Das wollen wir mit den neuen Prüfungsformen fördern. Der Massstab soll nicht innerhalb des Klassenverbandes anlegt werden, sondern die Schülerinnen und Schüler sollen individuell bewertet werden, orientiert an den Kompetenzen und Lernzielen. Gehen wir gemeinsam einen Schritt, der längst überfällig ist und ermöglichen wir der kommenden Generation ein positives Lernumfeld, zwängen wir ihnen nicht unsere Erfahrungen auf. Es ist Zeit neue Ufer zu beschreiten.